Die stärkste Frau, die ich kenne und Gedanken zum Umgang mit Behinderten
Ich war etwa sechzehn Jahre alt und mit einer Freundin auf
einer dieser Feste, die wir so gerne im Sommer feiern. Riesenrad, Zuckerwatte,
betrunkene Piraten, sowas eben. Und da standen wir etwas Abseits von Buden und
Gedränge um uns zu erholen. Plötzlich kann ein Mann auf uns zu und umarmte
mich. Aus dem nichts. Er ging mir nur knapp bis zur Schulter, so konnte ich
meiner Freundin einen verwirrten Blick zuwerfen. Wer mich kennt, weiß, dass ich
nicht wirklich auf Berührungen von Fremden stehe. Aber irgendwie hatte diese
Umarmung etwas unschuldiges, so dass ich nur verwirrt guckte. Meine Freundin
dagegen war geschockt. Viel mehr passierte aber nicht, denn seine Betreuerin kam
angelaufen. „Entschuldigen sie, er ist uns entwischt. Er umarmt gerne Menschen!“
Nach dem ich ihr versicherte hatte das alles okay war, nahm sie ihren Schützling
an die Hand.
Der junge Mann, ich schätze ihn heute auf Mitte Zwanzig, war
mit dem Down-Syndrom geboren worden und machte mit seiner Wohngruppe einen
Ausflug auf den Rummel.
Ich erinnere mich an viele behinderte Menschen, denen ich in
meinem Leben begegnet bin. Als Kind war ich nicht nur so neugierig wie ich
heute noch bin, sondern hatte auch nicht die Berührungsängste, die ich heute
habe. Und Kinder sind bis zu einem
gewissen Alter sowieso keine Vorurteile gegenüber dem was anders ist.
In der weiterführenden Schule durfte ich dann lernen, dass
anscheinend alles was anders ist beißt oder zumindest verurteilt werden muss. Ich selbst kann mich nicht mehr daran erinnern
wann es anfing, aber meine Mutter ist Gehbehindert. Diese Krankheit kam schleichend und so wurde
ihr Laufstil erst nach und nach so erkennbar krank, wie heute. An einem Tag kam
meine Mutter in die Schule um sich meinen Haustürschlüssel zu holen, weil sie
ihren vergessen hatte. Ab diesem Tag ging das Gerücht um, dass meine Mutter eine
Alkoholikerin sei. All meine Erklärungsversuche liefen ins Leere. Krankheiten hormonüberquellenden
Jugendlichen zu erklären ist sinnlos.
Damals war es nur grausam, heute führe ich dieses Verhalten auf die Angst vor dem
Unbekannten zurück. Sehr oft musste ich
schon dieses Verhalten bei Jugendlichen gesehen.
Bei Erwachsenen hat sich dieses Verhalten mehr verkappt: Sie werfen den
Menschen herabwürdigende Blicke zu, ziehen ihre Kinder von den Menschen weg und
gehen ihnen aus dem Weg. Diese Gruppe von Erwachsenen leiden unter
Berührungsängste. Die Meisten haben sich als Kinder nie getraut zu fragen oder
zu einem behinderten Menschen hinzugehen und ihn kennen zu lernen, wie es ihre
Eltern vor ihnen schon nicht konnten.
Dabei ist ein einfaches Lächeln oft schon um zu sehen, dass
das Gegenüber auch ein Mensch ist, wie man selbst. Meistens sind es sogar
Helden, die dort sitzen, denn sie müssen oft Kämpfe mit Ärzten und Behörden
führen und bekommen dafür keine Tapferkeitsmedallie. Nicht selten zerbrechen Familien an
Krankheiten und Unfällen.
Deshalb ist meine Mutter auch die stärkste Frau die ich
kenne und wenn ich auch nur halb soviel Kampfgeist (und Sturheit) habe wie sie,
kann mich nichts umreißen. Dazu hat sie auch noch genau den richtigen Mann
getroffen, der sie nicht im Stich lässt, auch wenn die schlechten Zeiten
richtig zuschlagen.
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Haut rein, aber euch nicht gegenseitig!